Coronavirus –„Deutsche Unternehmen sehr stark bedroht“
Welche Branchen es am härtesten trifft
Das Coronavirus wird stärkere Spuren in der Weltwirtschaft hinterlassen als viele bis vor kurzem noch glaubten – selbst wenn sich das Virus nicht weiter ausbreiten sollte. Die Lage im Überblick.
Die Konjunktur in Deutschland ist schon länger zweigeteilt: Dienstleistungen boomen, die Industrie schwächelt. Jetzt verstärkt das Coronavirus (SARS-CoV-2) vor allem die Schwierigkeiten der deutschen Exportwirtschaft. Die Auswirkungen des Virus könnten eine Erholung der Konjunktur in Deutschland und neue Impulse für den Arbeitsmarkt verzögern.
„Die Weltwirtschaft kränkelt im Moment“, sagt Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater. Immer mehr Lieferketten seien betroffen, da die Produktion vieler Firmen stockt. Dass die Zahl der Neuinfektionen in China zurückgehe, habe wenig Bedeutung, weil die Ansteckung anderswo weitergeht.
Deutsche Wirtschaft wird die Folgen zu spüren bekommen
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag warnte vor massiven Belastungen für die Konjunktur: Die Ausbreitung des Coronavirus wird der deutschen Wirtschaft in diesem Jahr „erheblich zusetzen“.
So gut wie alle Frühindikatoren zeigen abwärts, heißt es bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Das für 2020 erwartete Wachstum in Deutschland von 0,9 Prozent sei nicht mehr zu halten.
In den kommenden Wochen rechnen mehrere Industriebranchen mit Engpässen bei Lieferungen aus Fernost, unter anderem die Branchen Elektro, Automobil, Pharma und Papier. Ein Ende der konjunkturellen Talsohle, das Finanzexperten im ersten Quartal 2020 erwarteten, könnte sich somit bis ins zweite oder dritte Quartal verzögern.
Die LBBW senkte die Wachstumsprognose für Deutschland von zuletzt 0,6 auf 0,4 Prozent. LBBW-Chefvolkswirt Uwe Burkert rechnet sogar damit, dass das Wachstum der deutschen Wirtschaft in diesem Jahr so „um die Null-Linie herumkrebst“.
Vor einigen Tagen war die Stimmung noch gut: Das Geschäftsklima, das das Münchner Ifo-Institut am 24. Februar veröffentlichte, stieg zuletzt um 0,1 auf 96,1 Punkte. Doch das sei nur „der Blick in den Rückspiegel“, sagt Burkert. „Mit der Ausbreitung des Coronavirus in Italien haben wir eine völlig neue Situation."
Gefahr eines Produktionsstillstands ist hoch
Noch sehen Experten die Lager der Zulieferer für etwa zwei bis sechs Wochen gefüllt. Doch dann dürfte es zu ersten Produktionsstopps in Europa kommen. Vor allem für Maschinenbauer und Autohersteller hat sich die Situation durch die Entwicklung in Italien noch einmal verschlechtert. Aus der wirtschaftsstarken Region Lombardei kommen zahlreiche wichtige Lieferanten, zum Beispiel Gießereien.
Wo genau die Probleme am größten sein werden, lässt sich aktuell noch nicht eindeutig prognostizieren: „Die Unternehmen tun sich selbst noch schwer zu beziffern, was passieren kann“, sagt der LBBW-Chefvolkswirt. Im Augenblick versuchten die meisten noch, drohende Engpässe zu überbrücken.
Absatzprobleme für den deutschen Export
Für deutsche Unternehmen gibt es noch eine weitere mögliche Hausforderung: Absatzprobleme. China ist mit einem Anteil von 7,1 Prozent an den deutschen Ausfuhren der drittwichtigste Absatzmarkt, Italien mit 5,3 Prozent der fünftwichtigste.
In China sind die Beeinträchtigungen der Wirtschaftsleistung bereits so hoch, dass sie nicht mehr vollständig aufgeholt werden können. Deka-Chefvolkswirt Kater geht davon aus, dass Chinas Wachstum auf vier Prozent sinken wird. Und das nur unter der Voraussetzung, dass die Virus-Krise das zweite Quartal nicht mehr belastet.
Auch wenn Chinas Regierung versucht, die Wirtschaft langsam wieder in Schwung zu bekommen, kehren die Wanderarbeiter nur zögerlich zurück. Die meisten kleinen und mittleren Unternehmen bleiben geschlossen. Erst wenn die Menschen wieder arbeiten und regelmäßig ausgehen, werde sich laut Kater zeigen, ob die Ansteckungen wirklich zurückgehen.
Die Coronavirus-Epidemie belastet viele kleinere und mittlere Unternehmen. Ihnen droht das Geld auszugehen, weil die Kunden sie meiden. Bei einer Umfrage chinesischer Ökonomen gab ein Drittel der befragten Firmen an, ihre Cashreserven könnten innerhalb eines Monats aufgebraucht sein. Eine zweite Umfrage bezifferte den Anteil von Unternehmen mit knapper Kasse sogar auf 40 Prozent.
Lage am Finanzmarkt
Das Coronavirus schürt an Europas Börsen die Angst vor einem Konjunkturknick. Inzwischen hat Sars-CoV-2 die Finanzmärkte infiziert. "Der Dax fällt wie ein Stein, die Nerven liegen blank", sagte Marktstratege Jochen Stanzl vom Handelshaus CMC Markets zur dpa. Die Aktienmärkte weltweit gaben zu Wochenbeginn nach.
Viele Anleger flüchteten in vermeintlich sichere Anlagen wie Gold. Zuflucht suchten die verunsicherten Investoren auch bei Bundesanleihen, was die Renditen drückte. Auch am Rohstoffmarkt spiegelte sich die Angst vor einem Rückschlag für die Weltwirtschaft wider. Die Ölpreise gaben nach.
Welche Branchen es am härtesten trifft
Besonders stark betroffen sind nach Einschätzung der LBBW die Branchen Auto, Konsum, Rohstoffe und Technologie. Auch die als besonders konjunkturabhängig geltenden Sektoren Tourismus, Chipwerte, Banken und Luxusgüter-Hersteller stehen stark unter Druck. Nur schwach tangiert sind Branchen mit lokaler Produktion für lokale Absatzmärkte wie die Bauwirtschaft.
Am Beispiel der Autoindustrie zeigt sich, wie verwoben Lieferketten sind. Das Problem: „Bereits ein Bauteil aus China kann die Produktion in Europa stoppen“, sagt Uwe Burkert von der Landesbank Baden-Württemberg.
So bezieht Daimler formell Teile von 213 Zulieferern. Doch allein die zehn größten Zulieferer haben selbst wiederum 588 Zulieferer. Und diese kaufen Teile bei mehr als 2.900 weiteren Sub-Zulieferern.
Vor allem die Fluggesellschaften stehen unter Druck. An den Aktienmärkten verloren die Titel von Lufthansa, Air France- und der British Airways-Mutter IAG bis zu 3,5 Prozent. Die auf innereuropäische Verbindungen spezialisierten Billigfluggesellschaften Ryanair und EasyJet fielen um bis zu 5,3 Prozent. Lufthanse leitete bereits ein massives Sparprogramm ein.
Stark betroffen sind Hotels, Restaurants und Unterhaltungseinrichtungen wie Kinos. Allein in China summieren sich die Einbußen der Branche im Milliardenhöhe. Auch der Markt für Immobilien ist zusammengebrochen. Die Luxusgüterbranche werde der Virus voraussichtlich 30 bis 40 Milliarden Dollar Umsatz kosten, die Gewinne wird es um rund zehn Milliarden Dollar schmälern, wie die Boston Consulting Group errechnete.
Auch Verbraucher dürften Folgen spüren
Dazu kommen die psychologischen Auswirkungen. Trübt sich die Stimmung bei Unternehmen und Verbrauchern ein, dann wird auch bei großen Anschaffungen gespart.
„Ein Nachfrageschock wird immer wahrscheinlicher“, sagt Chefökonom Kater von der Deka-Bank.
Bereits jetzt zeigt sich, dass die Menschen in China kaum noch einkaufen. Selbst in Ländern, die gar nicht betroffen sind, könnte das Virus auf die Stimmung der Verbraucher schlagen.
Die Pekinger Zentralbank hat darum bereits reagiert – und Milliarden in den Finanzmarkt gepumpt, um Unternehmen weiter mit Krediten zu versorgen und die Börsen zu stützen.
Geldpolitik der Europäische Zentralbank
Trotz der schwachen Wirtschaftslage geht der Deka-Chefvolkswirt davon aus, dass die Börsen bald wieder zur Normalität zurückkehren werden. „Langfristig bleiben die Aussichten für Aktien weiterhin gut“, sagt Kater. Grund dafür ist insbesondere die Geldpolitik der Notenbanken. „Diese ist und bleibt Treiber für die Kurssteigerungen an den Börsen.“
Die Notenbanken beobachten die möglichen Folgen der Coronavirus-Epidemie auf die Wirtschaft. Für eine Änderung der Politik sei es noch zu früh, sagen die Währungshüter der US-Notenbank. An den Finanzmärkten gilt eine erneute Leitzinssenkung im Jahresverlauf jedoch als wahrscheinlich.
Erwartet wird, dass die Währungshüter Ende des Jahres ihren Einlagenzins von derzeit minus 0,5 Prozent auf minus 0,6 Prozent herabsetzt. Ein negativer Satz bedeutet, dass Geschäftsbanken Strafzinsen zahlen müssen, wenn sie überschüssige Gelder bei der Notenbank parken.
„Deutschland ist sehr anfällig für eine Virus-Epidemie"

Wie stark sind deutsche Unternehmen bedroht?
Die deutsche Wirtschaft ist Exportweltmeister – und die Deutschen sind Reiseweltmeister. Diese Kombination macht Deutschland sehr anfällig für eine Virus-Epidemie.
Hinzu kommt, dass die deutschen Unternehmen extrem erfolgreich sind, ihre Lieferketten international zu optimieren. Problematisch für die deutschen Unternehmen ist vor allem, dass die Ausbreitung des Virus nicht vorhersehbar ist. Daher sind die deutschen Unternehmen sehr stark bedroht.
Droht jetzt eine weltweite Rezession?
Eine weltweite Rezession droht unseres Erachtens nicht, aber ein deutlicher Wachstumsrückgang. Chinas Wachstum wird im ersten Quartal massive Rückschläge verzeichnen, und die Ausbreitung des Virus wird für weitere Wachstumsrückgänge sorgen.
Welche Branchen sind besonders betroffen?
Aus Produktionssicht sicherlich die klassischen Industriebranchen, ebenso die Hightechbranche, die stark auf Zulieferungen aus Asien angewiesen ist. Darüber hinaus aber auch Konsumgüter wie Bekleidung und Elektronik.
Braucht es ein Konjunkturprogramm?
In erster Linie ist jetzt eine vernünftige Krisenpolitik nötig. Ein Konjunkturprogramm wäre momentan verfrüht. Was die Unternehmen brauchen ist im Notfall eine Überbrückung, bis sich die Situation wieder gebessert hat. Und dann könnte ein Konjunkturprogramm grundsätzlich die nicht nachgeholte Nachfrage ausgleichen.
Die Spanische Grippe forderte 1919 weltweit rund 25 bis 50 Millionen Opfer. Die Weltbank hat für dieses Szenario einen globalen BIP-Verlust von drei Billionen US-Dollar berechnet. Droht jetzt ein ähnliches Szenario?
Das ist schwer zu sagen und hängt vom Erfolg der staatlichen Schutzmaßnahmen ab. Als absolutes Worst Case-Szenario ist es aber leider nicht auszuschließen. Aber wir messen diesem Szenario eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit bei.
Muss ich um mein Erspartes fürchten?
Nein, dazu gibt es aus meiner Sicht keinen Grund. Unser Finanzsystem ist stabil.
(Stand 27.02.2020)
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