Steuern wir auf das Ende der Globalisierung zu?
Was Coronakrise, Inflation und Ukraine-Krieg für Menschen und Wirtschaft in Deutschland bedeuten könnten
Die Engpässe der Lieferketten, die Rekordinflation sowie die Energiekrise im Zuge der Corona-Pandemie und des Kriegs in der Ukraine haben zu einer neuen These geführt: Die Globalisierung erlebt eine Umkehr. Für die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte hätte das grundlegende Konsequenzen – für die Firmen sowie die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland natürlich auch.

Ein großer Teil der deutschen Wirtschaft basiert auf den Grundlagen der Globalisierung, also der wirtschaftlichen Vernetzung der Welt. Klassische deutsche Branchen wie Autoindustrie, Maschinenbau und Chemie sind extrem exportstark. Manche Mittelständler führen 80 Prozent ihrer Güter in andere Länder aus, den größten Teil davon sogar außerhalb der Europäischen Union (EU).
Einer der renommiertesten Ökonomen der USA, Kenneth Rogoff, glaubt, dass wir durch Pandemie, Krieg und Lieferkettenprobleme das Ende der Globalisierung erleben. Zumindest, wie wir sie bislang kannten. Das habe direkte Konsequenzen für alle Länder weltweit – auch für Deutschland. „Ich fürchte, dass wir das Schlimmste noch vor uns haben“, sagt der Harvard-Professor und ehemalige Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds (IWF) in einem Presseinterview. „Falls China in die Rezession rutscht, steuern wir auf die schlimmste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg zu.“
Was das genau für Menschen und Unternehmen in Deutschland heißt, erklärt Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank.

Herr Dr. Kater, „Die Globalisierung, die unseren Wohlstand wachsen ließ, hat uns verwundbar gemacht“, hat Kenneth Rogoff unlängst in einem Interview gesagt. Was und wen genau meint er damit?
Die Globalisierung hat zu einer zunehmenden Internationalisierung der Fertigungsprozesse geführt. Auf der einen Seite bietet die Arbeitsteilung über Ländergrenzen hinweg große Chancen für Unternehmen: Jedes Land produziert das, was es am besten kann. Das hat Vorteile für Verbraucher, denn in normalen Zeiten wird dadurch die Produktion von Waren effizienter und damit für den Konsumenten erschwinglicher.
In globalen Krisenzeiten ist ebendiese Verlagerung allerdings besonders anfällig für Störungen. Besonders gut zu sehen ist das aktuell am Beispiel von China. Wenn in Shanghai aufgrund eines coronabedingten Lockdowns die Häfen gesperrt sind, fehlen der deutschen Industrie wichtige Bauteile und es kommt zu erzwungenen Unterbrechungen im Fertigungsbetrieb. Wenn dieser Zustand über einen längeren Zeitraum anhält, kann dies erhebliche negative Auswirkungen auf die heimische Wirtschaft haben.
Wie müssen wir uns diese Auswirkungen für Menschen und Unternehmen in einem konkreten Alltagsszenario vorstellen?
Störungen im Produktionsprozess können im schlimmsten Fall eine ganze Kette von Ereignissen auslösen. Zunächst müssen Unternehmen gezwungenermaßen ihre Produktion runterfahren. Die Nachfrage bleibt aber hoch, so dass die Preise der Produkte steigen, wodurch die Inflation angekurbelt wird. Dadurch sinkt die Kaufkraft bei Verbraucherinnen und Verbrauchern, was zu höheren Lohnforderungen der Gewerkschaften in Verhandlungen mit den Arbeitgebern führt. Im Worst-Case-Szenario rutscht man in eine Lohn-Preis-Spirale mit anhaltend hoher Inflation, ein Szenario in dem wir uns möglicherweise aktuell in Deutschland befinden.
Rogoffs Ansatz klingt zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt etwas düster. Gibt es auch alternative Szenarien – und wenn ja, welche Auswirkungen hätten sie auf die Menschen und die Wirtschaft in Deutschland?
Eine Alternative wäre eine zunehmende Verlagerung der Produktionsprozesse zurück in das eigene Land. Nachteile davon sind, dass die Preise für viele Güter wohl dauerhaft höher bleiben, denn ein Land kann nicht in allen Güterproduktionen weltspitze sein. Auch die Produktvielfalt würde leiden. Auf der anderen Seite würde man so die Hoheit über den Produktionsprozess zurückerlangen und wäre so unabhängiger von den spezifischen Entwicklungen in den fremden Produktionsländern wie aktuell im Kontext des Ukraine-Kriegs.
Produkte würden regionaler und nachhaltiger werden und die Einhaltung der Gesetzte entlang der gesamten Lieferkette wäre leichter zu überwachen. Diese Vorteile kann man realisieren, müsste dafür aber einen etwas geringeren materiellen Wohlstand in Kauf nehmen.
(Stand: 20.07.2022)
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