Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer Rezession, die durch hohe Inflation, teure Energie und einen schwachen Export verursacht wird.
Trotz dieser Probleme verfügt Deutschland über eine robuste Wirtschaft mit einem stabilen Arbeitsmarkt, hochqualifizierten Arbeitskräften und innovativen Unternehmen.
Einige Experten befürworten staatliche Subventionen, um die angeschlagenen Wirtschaftsbereiche zu unterstützen.
Andere betonen, dass langfristig strukturelle Veränderungen notwendig sind, um die deutsche Wirtschaft wieder auf die Beine zu bringen.
Nicht krank – eher ein Kränkeln
Deutschland gilt gerade als der „kranke Mann Europas“. Das hat das britische Wirtschaftsmagazin „Economist“ unserer Wirtschaft nach fast zwei Jahrzehnten robusten Wachstums diagnostiziert. Zum Teil scheint das begründet: „Deutschland hinkt in wichtigen Bereichen der internationalen Konkurrenz hinterher“, bestätigt Dr. Gertrud Traud, Chefvolkswirtin der Landesbank Hessen-Thüringen, Helaba.
„Besonders stechen die hohe Inflation, die im europäischen Vergleich hohen Energiepreise, das schwache Wirtschaftswachstum, die marode Infrastruktur, die komplizierte Bürokratie und die hohen Steuern hervor“, erklärt die Ökonomin. Aber: Das sei nur eine Seite der Medaille, betont sie: „Deutschland kränkelt. Aber das Potenzial ist weiterhin hoch.“
Im Kern robust und zukunftsorientiert
Seit den Hartz-Reformen in den Jahren 2003 bis 2005 hat Deutschland einen sehr soliden Arbeitsmarkt: Die Arbeitslosenquote bewegte sich lange Zeit zwischen 5 und 6 Prozent. Derzeit beträgt sie 5,8 Prozent. Die Qualifikation der Arbeitskräfte bewegt sich weiterhin auf internationalem Spitzenniveau und wird von vielen Ländern kopiert. Außerdem ist das deutsche Hochschulsystem sehr breit aufgestellt und gilt als eines der besten der Welt.
Viele mittelständische Unternehmen gehören zu den sogenannten Hidden Champions, also zu den heimlichen Weltmeistern. Ihre Produkte und Dienstleistungen gelten als die innovativsten in ihren Branchen. Nicht umsonst ist Deutschland seit rund zwei Jahrzehnten eine der führenden Exportnationen weltweit.
Konjunktureller Schnupfen
Was sind also die Auslöser für das Kränkeln der deutschen Wirtschaft? Zum einen gibt es ein Konjunkturproblem: Aufgrund ihres hohen Exportanteils leiden die Unternehmen unter Schocks wie den Spätfolgen der Coronakrise, dem Krieg in der Ukraine und den gesunkenen Exporten nach China, das einer der wichtigsten Handelspartner Deutschlands ist.
„Mit ihrem im internationalen Vergleich hohen Industrieanteil und der Bedeutung energieintensiver Industrien spürt unsere Wirtschaft die Versorgungsrisiken und Kostenschocks im Energie- und Strombereich stärker als andere Länder“, erklärt Ökonomin Dr. Traud. „Gleichzeitig ist der Konsum der privaten Haushalte aufgrund der hohen Inflation deutlich zurückgegangen und bremst so unser Wirtschaftswachstum zusätzlich.“
Die Inflation beträgt zurzeit 6,1 Prozent. Aufgrund der hohen Teuerungsrate vor allem im Energie- und Lebensmittelbereich müssen viele Haushalte trotz eines oder sogar zwei fester regelmäßiger Einkommen finanziell zurückstecken. Einige Menschen leben zum Teil von ihrem Ersparten. Nach Berechnung verschiedener Forschungsinstitute könnte die deutsche Wirtschaft bis zum Jahresende um minus 0,3 bis minus 0,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurückgehen. Für 2024 gehen die Prognosen von 0,9 bis 1,4 Prozent Wachstum voraus.
„Diese Rezession ist nicht so stark. Sie ist eher wie ein Schnupfen, der bald von allein weggeht“, erklärt Dr. Traud. „Die Inflation lässt zwar nur langsam, aber beständig nach. Die Einkommen steigen wieder und damit die Kaufkraft der Menschen. Sie haben bald wieder mehr Geld in der Tasche, das sie ausgeben können.“
Der Begriff beschreibt – basierend auf dem lateinischen Substantiv „recessio“ (auf Deutsch: Zurückweichen) – das Schrumpfen der Wirtschaft. Wenn das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in mindestens zwei aufeinanderfolgenden Quartalen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zurückgeht, spricht man von einer sogenannten technischen Rezession.
Ein solcher Abschwung ist in einer wachstumsorientierten Wirtschaft in der Regel mit vielen Problemen verbunden: Die Unternehmen investieren weniger und stellen weniger Arbeitskräfte ein oder entlassen sie, Insolvenzen nehmen zu, das Kaufverhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher lässt nach. Zudem sinken in der Regel die Steuereinnahmen.
EZB-Zinsanhebungen: Psychologischer Schock belastet die Baubranche
Auch die Leitzinsen der Europäischen Zentralbank (EZB) scheinen ihren Höhepunkt erreicht zu haben, zumindest steigen sie nur noch langsam. Die EZB hatte sie angehoben, um die Inflationsrate einzudämmen. Sie haben aber auch dazu beigetragen, das Wirtschaftswachstum zu schwächen.
„Hier zeigt sich, dass nicht nur das Ausmaß der Zinserhöhung, sondern auch die Ausgangslage relevant ist“, erklärt Volkswirtin Dr. Traud. „Die derzeitige Höhe des Leitzinses von 4,25 Prozent wäre in früheren Inflationsphasen wie in den 1970er Jahren oder zur Wiedervereinigung nur gering gewesen, da das Ausgangsniveau sich um 3 Prozent bewegte. Aber nach Jahren der Nullzinspolitik ist der Anstieg gewaltig.“ Eine Vervierfachung der Zinsen in sehr kurzer Zeit sei sowohl finanziell als auch psychologisch schwer zu verkraften. Das habe bei vielen Menschen dazu geführt, dass sie ihre Baupläne erst einmal auf Eis gelegt haben.
Tatsächlich hat die Stornierungswelle im Wohnungsbau im August 2023 einen Höchststand erreicht: Einer Studie zufolge hatten knapp 21 Prozent der Firmen abgesagte Projekte zu beklagen. Diese Entwicklung hat in der gesamten Baubranche einen Schock ausgelöst.
Subventionsspritze als Medizin in der Krise?
Verantwortlich für die Schockwellen in anderen Wirtschaftsbereichen waren vor allem die hohen Kraftstoff- und Strompreise. Sie bedingten, dass energieintensive Industriezweige wie die Stahl- und die Chemiebranche sowie die Batterieproduktion eingebrochen sind. Neben dem Verlust des russischen Billiggases haben sie mit hohen Preisen zu kämpfen, weil die Schließung der deutschen Atomkraftwerke die Energie verknappt. Da der Ausbau der Erneuerbaren Energien nicht rasch genug vorangeht, können sie diesen Mangel nicht ausgleichen.
Daher sehen einige Wirtschaftsexpertinnen und -experten sowie Unternehmerverbände in einer Konjunkturspritze die richtige Medizin für die aktuelle Schwäche. Die angeschlagenen Wirtschaftszweige sollen ihrer Meinung nach mit staatlichen Geldern gestützt werden. Oder eine Deckelung des Industriestrompreises soll dafür sorgen, dass sie zumindest so lange weniger Geld für ihren Stromverbrauch zahlen, bis die Erneuerbaren Energien ausreichend etabliert sind, um Angebotslücken zu füllen und Preise zu senken.
Mit Stabilität und Klarheit gegen die Strukturschwäche
Doch an dieser Stelle scheiden sich die Geister: Anderen Ökonominnen und Ökonomen zufolge kann eine Konjunkturspritze die Probleme der deutschen Wirtschaft nicht lösen: „Wir haben eine Strukturschwäche. Das ist wie ein gebrochenes Bein. Das kann man auch nicht mit einer Spritze heilen. Es muss stabilisiert werden. Unsere Wirtschaft braucht Verlässlichkeit und stabile Rahmenbedingungen“, betont Dr. Traud. „Subventionen helfen auf Dauer nicht, sondern tragen dazu bei, dass sich strukturelle Defizite verfestigen und der nötige Wandel verschlafen wird.“
In ihren Augen geht es neben den Preisen und der Stromknappheit um den schlingernden Kurs bei der Energietransformation, wie schnell sie kommt, und wie schnell die Erneuerbaren Energien die Preise bestimmen werden: „Wenn die Wirtschaft mehr Klarheit hätte, würden die Unternehmen auch wieder mehr investieren.“ Außerdem sei die marode Infrastruktur problematisch: „Solange unsere Brücken nicht stabil genug sind, um den Transport von Windrädern auszuhalten, wird die Energiewende endlos dauern. Hier muss die öffentliche Hand schnell und gezielt vorgehen.“
„Deutschland hat gute Voraussetzungen, um aus der aktuellen Schwächeperiode herauszukommen.“ Das sagte der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV) Helmut Schleweis bei der Vorstellung des „S-Mittelstands-Fitnessindex“ Anfang September 2023 in Berlin. Dazu müssten aber schnell kraftvolle Veränderungen vorgenommen werden. Dabei berief sich Schleweis auf die Ergebnisse der Publikation, für die anonymisierte Unternehmensbilanzen von mehr als 300.000 Firmenkunden der Sparkassen-Finanzgruppe ausgewertet wurden.
Die Ergebnisse zeigen: Trotz der aktuellen Herausforderungen ist Deutschlands Wirtschaft stärker, als oft beschrieben wird. „Wenn dieser Tage der Eindruck vermittelt wird, nichts in Deutschland funktioniere mehr, halte ich entgegen: Der Mittelstand funktioniert“, so Schleweis. „Er ist das starke wirtschaftliche Fundament unseres Landes.“ Aber auch dieses Fundament dürfe nicht überlastet werden. Der DSGV-Präsident unterstrich, dass der Mittelstand trotz der schwierigen gesamtwirtschaftlichen Lage im Jahr 2022 beeindruckende Ergebnisse erzielt habe.
Genesung gelingt mit Investitionen und Innovationen
Spätestens seit der Coronakrise hat in Deutschland, ebenso wie in vielen anderen Ländern weltweit, eine gewaltige Verschiebung von Macht und Ressourcen begonnen: Die Spielräume des Staates wurden erweitert, die der Privatwirtschaft und der Menschen verengt – finanziell und regulatorisch. Mit immer neuen Regeln wurde auch die Bürokratie aufgebläht. „Wenn wir die Kosten der Regulierung senken könnten, also die Bürokratie reduzieren, würde das deutlich besser als eine Subvention die Wirtschaft beleben. Außerdem würden alle davon profitieren – Haushalte und Unternehmen“, ist die Helaba-Volkswirtin überzeugt.
Zudem fordern viele Wirtschaftsvertreter Steuererleichterungen: Im Jahr 2022 lag die effektive Steuerbelastung für Unternehmen bei 28,8 Prozent – der EU-Durchschnitt hingegen bei 18,8 Prozent. Allein die endgültige Abschaffung des Solidaritätszuschlags würde die Unternehmen um 7 Milliarden Euro im Jahr entlasten. Wirtschaftsforschungsinstitute empfehlen, die von der Bundesregierung angekündigte breite Steuerreform mit beschleunigten Abschreibungen rasch umzusetzen, um den Unternehmen zu helfen und es für sie interessanter zu machen, in Deutschland zu investieren.
Dr. Traud unterstützt diesen Ansatz: „Die Bundesregierung sollte über die Maßnahmen hinausgehen, die sie Ende August in ihrem Wachstumschancengesetz vorgesehen hat. Jetzt ist es an der Zeit, Deutschland wieder wettbewerbsfähig zu machen. Dabei ist auch ein Bekenntnis zum Wirtschaftsstandort Deutschland notwendig. Das motiviert Unternehmen für Investitionen. Die Genesung unserer Volkswirtschaft gelingt vor allem dann, wenn die Unternehmen ihre innovative Kraft entfalten können.“
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Stand: 14.09.2023