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Wie sinnvoll sind weitere Zinserhöhungen?

Streit um den Kurs der EZB
Die anhaltende Inflation und die schwankende Wirtschaft sorgen für eine hitzige Debatte über die Sinnhaftigkeit weiterer Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB). Während die Zentralbank ihren aktuellen Kurs fortsetzt, warnen Experten vor möglichen Auswirkungen auf die Konjunktur. Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt des Wertpapierhauses der Sparkassen-Finanzgruppe DekaBank, gibt Einblicke in die Folgen dieser Situation für Privatpersonen und Unternehmen sowie mögliche Alternativen.

Im Kampf gegen die Inflation hat die EZB seit dem vergangenen Sommer die Leitzinsen kontinuierlich angehoben. Bislang insgesamt neunmal, zuletzt im Juli. Derzeit befinden sie sich auf dem höchsten Stand seit der Finanzkrise 2008: 4,25 Prozent für Kreditaufnahmen und 3,75 Prozent für Einlagen.

Gleichzeitig wankt die Konjunktur, mit Deutschland in einer Rezession. Prognosen verschiedener Wirtschaftsforschungsinstitute sagen für dieses Jahr einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von minus 0,4 bis 0,5 Prozent voraus. Die Inflationsrate in Deutschland hat sich von den Höchstständen von knapp 9 Prozent Ende 2022 entfernt. Sie lag im Juni aber immer noch bei 6,4 Prozent – und damit wieder etwas höher, nachdem sie sich in den drei Monate zuvor in Folge abgeschwächt hatte.

Die US-Notenbank Fed hat ihre Zinserhöhungen vorerst ausgesetzt. Über die Antwort auf die Frage, wann der Zinsgipfel in den USA, aber auch in Europa erreicht ist, herrscht derzeit Uneinigkeit. Denn die Einschätzungen der obersten EZB-Notenbanker stehen im Widerspruch zur Sicht verschiedener Wirtschaftsforschungsinstitute, die eine Zinspause fordern, um die Wirtschaft wieder zu stabilisieren.

3 Fragen zu Geld an

Dr. Ulrich Kater

Chefvolkswirt der Deka

Herr Dr. Kater, ist der Zinsgipfel jetzt erreicht?

Nach unserer Einschätzung ist der gegenwärtige Zinszyklus nach einer, höchstens zwei weiteren Zinserhöhungen durch die EZB wie auch durch die US-Notenbank Fed beendet. Insbesondere die Entwicklungen in den vergangenen Wochen zeigen wieder exemplarisch, wie schnell die Markterwartungen von einem Gravitationsfeld in das andere gezogen werden: Im Euroraum hatten sich Anfang Juni nach weiteren Straffungsaufrufen von Geldpolitikern gerade weitere Zinssteigerungserwartungen breit gemacht, bevor die US-Inflationszahlen im Juli diese Erwartungen schnell wieder drehten. Trotzdem: Wir sind nicht mehr im Gipfellager, sondern kurz vor dem Ziel des Anstiegs.

Sind die hohen EZB-Leitzinsen mehr Segen oder mehr Fluch für private Haushalte und Wirtschaft in Deutschland?

Die negativen Auswirkungen der Zinssteigerungen waren auch in Deutschland weit glimpflicher als befürchtet. Zwar boomt die Konjunktur nicht: Der Bauwirtschaft geht es schlecht und Kredite sind teurer. Aber insgesamt stehen die fortgesetzten Bremswirkungen der Geldpolitik weiterhin einer sehr robusten Konjunkturentwicklung gegenüber. Das liegt an der hohen angestauten Nachfrage noch aus Coronazeiten und an einem bombenfesten Arbeitsmarkt. Wenn dies so bleibt und sich jetzt noch die Inflation wie erhofft zurückbildet, dann war das die kostengünstigste Inflationsbekämpfungs-Aktion aller Zeiten.

Wie lange müssen wir uns auf eine wirtschaftlich instabile Situation bei gleichzeitig hoher Inflation einstellen? 

Die Inflation wird im Herbst weiter deutlich zurückgehen. Das wird Wirtschaft und Finanzmärkte entlasten, und es wird sogar eine Debatte über Zinssenkungen aufkommen. Aber die Notenbanken werden erst noch die weitere Entwicklung ins nächste Jahr hinein abwarten. Obwohl also viele Befürchtungen vom Jahresbeginn noch nicht eingetreten sind, bleibt die makroökonomische Unsicherheit noch im Markt. Aber bei allen Schwankungen, die wir noch erleben werden, sind doch die Segel schon wieder gesetzt für den nächsten Aufschwung, der auch an den Aktienmärkten wieder frischen Wind für höhere Kurse bringen sollte.    

Stand: 28.07.2023

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