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Ein Mann in weißer Kochjacke steht in einem leerem Restaurant an einem Tisch. Er blickt traurig aus dem Fenster.

Sparkassen-Finanzgruppe fordert Wirtschafts-Turbo

Konjunktur aus Lähmung befreien
Die deutsche Konjunktur braucht dringend einen Neustart. Das betonen die Chefvolkswirte der Sparkassen-Finanzgruppe in ihrer Konjunkturprognose. Sie fordern mutige politische Impulse, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln – darunter eine Neuausrichtung der Schuldenbremse.

Die Wirtschaft muss raus aus ihrem lähmenden Stillstand. Das hat der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) bei der Vorstellung der diesjährigen Gemeinsamen Konjunkturprognose der Chefvolkswirte der Sparkassen-Finanzgruppe Mitte Januar betont. Den Berechnungen der Chefvolkswirtinnen und Chefvolkswirte zufolge wird das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) im laufenden Jahr lediglich um 0,2 Prozent zulegen. Das bedeutet eine Stagnation.

Sollte die US-Regierung tatsächlich Zölle auf Importwaren einführen, könnte das BIP-Wachstum hierzulande deutlich sinken. Möglich ist laut ihrer Prognose, dass es sogar 0,3 bis 0,6 Prozentpunkte geringer ausfallen könnte. Dann würde Deutschland in eine Rezession abgleiten.

Daher erwarten die Volkswirte von der Politik ein klares Programm, um dem Stillstand zu entkommen. Deutschland brauche neben Digitalisierung und Entbürokratisierung dringend massive Investitionen, um die bröckelnde Infrastruktur zu modernisieren. Das sei nicht nur aus laufenden öffentlichen Mitteln finanzierbar. Daher wagen sie bei ihren Vorschlägen für mehr Wachstum sogar den Schritt auf das dünne Eis, auf dem die noch amtierende Bundesregierung eingebrochen ist: Sie bringen eine Reform der Schuldenbremse ins Spiel.

Prof. Dr. Carsten Wesselmann ist Chefvolkswirt der Kreissparkasse Köln. Er erklärt im Interview mit Sparkasse.de genauer, welche Ansätze vielversprechend sind – und in welchen Bereichen ein Neustart dringend notwendig ist.

„Wir sollten eine Reform der Schuldenbremse nicht mehr ausschließen“

Im Interview mit

Prof. Dr. Carsten Wesselmann

Chefvolkswirt der Kreissparkasse Köln

Herr Wesselmann, die Chefvolkswirte der Sparkassen-Finanzgruppe wollen die Konjunktur aus ihrer „Lähmung befreien“. Daher fordern sie von der kommenden Bundesregierung einen klaren Plan zur Belebung der deutschen Wirtschaft. Welche Maßnahmen sind Ihrer Meinung nach möglichst rasch umsetzbar, um das BIP-Wachstum endlich wiederzubeleben?

Um die Stagnation der letzten Jahre zu überwinden, sind klare, transparente und stabile wirtschaftspolitische Maßnahmen entscheidend. Allein die überbordende Bürokratie kostet uns jährlich 146 Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung. Außerdem brauchen wir eine Digitalisierung aller staatlichen Prozesse. Das heißt: elektronische Abrechnungen, digitale Verträge und kürzere Aufbewahrungsfristen für Steuerbelege. Das entlastet die Unternehmen und senkt die Verwaltungskosten. Und: Wir benötigen eine Vereinfachung von Genehmigungsverfahren. Schnellere Entscheidungen bei Bau- und Investitionsprojekten fördern Wachstum und schaffen Planungssicherheit.

Planungssicherheit ist sowieso von großer Bedeutung. Dazu gehören verlässliche Rahmenbedingungen: Die Unternehmen brauchen langfristige Strategien, um Investitionen zu planen. Unsicherheit über Steuern, Energiepreise oder Regulierungen schreckt Investitionen ab und kostet Milliarden.

Außerdem müssen wir den Mittelstand entlasten, er bildet schließlich das wirtschaftliche Rückgrat unseres Landes. Das funktioniert etwa durch die Senkung der Unternehmenssteuern oder die Vereinfachung von Steuerprozessen. Und wenn wir Forschung und Entwicklung stärken, kurbeln wir die Innovationen hierzulande wieder an und damit auch die Wettbewerbsfähigkeit.

Deutschland braucht nach Ansicht der Volkswirte der Sparkassen-Finanzgruppe auch massive Investitionen in die Infrastruktur. Wie lässt sich dieses Ziel realistisch umsetzen, wenn öffentliche Mittel nicht ausreichen und die Parteien weiter an der Einhaltung der Schuldenbremse festhalten?

Zunächst sollten wir alle Kapazitäten ausschöpfen, die im Rahmen der Schuldenbremse und der EU-Vorgaben noch nicht genutzt sind. Darüber hinaus erlaubt die konjunkturelle Komponente der Schuldenbremse höhere Kreditaufnahmen bei Abschwüngen als die 0,35 Prozent in Relation zum BIP. In konjunkturell guten Zeiten müssen diese zusätzlichen Schulden natürlich wieder zurückgeführt werden. So gewährleisten wir langfristig eine Balance zwischen Einnahmen und Ausgaben. Dies ermöglicht mehr Spielraum für Investitionen in die Infrastruktur, ohne die Schuldentragfähigkeit zu gefährden.

Ohnehin sollten wir eine Reform der Schuldenbremse nicht mehr kategorisch ausschließen. Wichtig ist, dass zusätzliche Kreditmittel in Investitionen fließen, die den Bürgerinnen und Bürger dauerhaft einen Mehrwert schaffen.

Eine weitere Überlegung ist die Einbindung privater Investitionen: Infrastrukturfonds und öffentlich-private Partnerschaften könnten private und institutionelle Gelder mobilisieren. Beispiele sind privatrechtlich organisierte Infrastrukturgesellschaften oder eine Netz-Infrastrukturgesellschaft für den Energiesektor.

Wenn auch Kapital von privaten Investoren kommen soll, was genau muss die Politik tun, um deren Geld für große Infrastrukturprojekte zu mobilisieren?

Die Politik muss vor allem ein Umfeld schaffen, das das Vertrauen der Investoren stärkt, Risiken minimiert und attraktive Renditechancen bietet. Dafür muss die Politik Prioritäten setzen und langfristige Investitionspläne vorlegen, die eine kontinuierliche Umsetzung von Projekten garantieren. Häufige Änderungen in der Gesetzgebung oder politische Unsicherheiten schrecken Investoren ab. Außerdem braucht es Rechtssicherheit. Standardisierte Verträge und transparente Vergabeprozesse sind essenziell, um rechtliche Unsicherheiten zu vermeiden. Klare Regeln zu Haftung, Zuständigkeiten und Vertragslaufzeiten stärken das Vertrauen der Investoren.

Ein Hauptgrund für die Zurückhaltung privater Investoren bei Infrastrukturprojekten ist das hohe Risiko, insbesondere bei Großprojekten mit langen Laufzeiten. Hier kann die Politik durch gezielte Maßnahmen wie Öffentliche Garantien eingreifen. Außerdem könnte sie sich an Projekten beteiligen, indem sie im Falle von Verlusten zuerst haftet. Das reduziert das Risiko für private Investoren und erhöht ihre Bereitschaft zur Beteiligung. Mischfinanzierungen, also eine Kombination aus öffentlichen Mitteln und privatem Kapital, tragen dazu bei, Projekte finanzierbar zu machen und gleichzeitig Risiken zu streuen.

Planungssicherheit ist sicherlich wichtig. Aber Investoren legen ihr Kapital erst dann an, wenn sie auch mit einer angemessenen Rendite rechnen können. Wie kann die aussehen?

Natürlich sind attraktive Renditechancen wichtig. Das kann die Politik unterstützen, zum Beispiel indem sie Nutzerfinanzierungen einführt oder ausbaut. Dazu gehören Einnahmen aus Mautsystemen, Ticketverkäufen oder anderen Gebührenmodellen. Außerdem gibt es die Möglichkeit, zweckgebundene Einnahmen zu sichern. So etwa können Einnahmen aus spezifischen Steuern wie etwa Energiesteuern in Infrastrukturprojekte fließen und so zusätzliche Mittel schaffen.

Eine andere große Herausforderung ist noch nicht zur Sprache gekommen: der Fachkräftemangel. Er bremst unsere Wirtschaftstätigkeit schon seit vielen Jahren. Wie können Unternehmen hier schneller und effektiver gegensteuern? Und wie kann die Politik sie dabei unterstützen?

Der Fachkräftemangel erfordert vor allem ein koordiniertes Vorgehen zwischen Unternehmen, Gewerkschaften und politischen Entscheidungsträgern. Ein entscheidender Ansatzpunkt ist die Stärkung der Bildungssysteme und ihre Anpassung an die Anforderungen unseres modernen Arbeitsmarkts. Dazu gehört, die Berufsorientierung zu stärken, lebenslanges Lernen zu fördern und die Attraktivität von Ausbildungsberufen zu steigern. Denn viele von ihnen leiden unter einem Imageproblem. Aber durch Kampagnen, bessere Bezahlung und modernisierte Lehrpläne begeistern wir mehr junge Menschen für diese Berufe. Die Politik sollte all diese Punkte durch steuerliche Anreize oder Förderprogramme unterstützen.

Außerdem benötigen wir eine deutlich gezieltere Einwanderungspolitik. Vereinfachte und transparente Gesetze würden es ausländischen Fachkräften erleichtern, nach Deutschland zu kommen. Und ein Punktesystem wie in Kanada könnte helfen, gezielt hochqualifizierte Fachkräfte zu gewinnen. Außerdem brauchen wir dringend eine Beschleunigung der Anerkennungsverfahren.

Aber lässt sich der Fachkräftemangel nur durch Zuwanderung lösen?

Neben einer gezielten Zuwanderung sollten wir die ungenutzten Potenziale innerhalb Deutschlands besser ausschöpfen: Durch den Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen und flexible Arbeitszeitmodelle können deutlich mehr Frauen in den Arbeitsmarkt integriert werden. Und mit Weiterbildungsangeboten und altersgerechten Arbeitsmodellen bleiben ältere Beschäftigte länger im Berufsleben.

Außerdem kann die Digitalisierung langfristig dazu beitragen, den Fachkräftemangel abzumildern. Wenn Unternehmen mit Technologien einfache Tätigkeiten automatisieren, können die Fachkräfte sich auf anspruchsvollere Aufgaben konzentrieren. Und bessere digitale Matching-Plattformen tragen dazu bei, offene Stellen schneller mit geeigneten Kandidaten zu besetzen.

Machen wir uns nichts vor. Unsere Herausforderungen sind gewaltig. Aber mit klaren, zukunftsorientierten Maßnahmen kann Deutschland nicht nur aus der Stagnation herausfinden, sondern bald wieder mit neuer Dynamik durchstarten.

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Stand: 28.01.2025

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