Zwei Männer unterhalten sich in einer Papierfabrik. Im Hintergrund stehen Papierrollen.

Industrieflaute: Wie gefährdet ist der Standort D wirklich?

Gespenst der Deindustrialisierung
Hohe Energiepreise, mangelnde Digitalisierung, behindernde Bürokratie und anhaltender Fachkräftemangel. Deutschland macht es seinen Unternehmen nicht leicht. Viele erwägen eine Standortverlagerung ins Ausland. Aber ist das die ganze Wahrheit? Oder ist Deutschland nicht doch besser als sein Ruf?

Immer mehr Industriebetriebe planen eine Abwanderung aus Deutschland. Das hat eine Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer  (DIHK) Anfang 2024 ergeben. Demnach überlegt fast ein Drittel der Industriefirmen eine Verlagerung von Kapazitäten ins Ausland, setzt diese schon um – oder schränkt zumindest die Produktion hier vor Ort ein. Der Hauptgrund dafür? Die mangelnde Umsetzung struktureller Reformen.

Außerdem hängen Bund und Länder mit wichtigen Investitionen und Innovationen hinterher. Laut Michael Köhler, Senior Analyst bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), betrugen die öffentlichen Investitionen seit der Finanzkrise hierzulande nur durchschnittlich 2,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das lag unter anderem daran, dass die Regierungen weder die Infrastruktur ausreichend erhielten, noch die Energiewende vorantrieben oder in das Bildungssystem investierten. Andere europäische Staaten hätten hingegen im Schnitt 3,7 Prozent ihres BIP investiert.

Aber sieht die aktuelle Situation am Industriestandort Deutschland wirklich so trist aus, wie es gerade allerorten scheint? Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt des Wertpapierhauses der Sparkassen-Finanzgruppe DekaBank, klärt über die Ursachen auf und warum alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird.

3 Fragen zu Geld an

Dr. Ulrich Kater

Chefvolkswirt der Deka

Herr Dr. Kater, in Deutschland geht derzeit ein Gespenst um – das Gespenst der Deindustrialisierung. Aber: Wie berechtigt ist der aktuelle Pessimismus wirklich?

Deutschland hat im Vergleich zu anderen Ländern immer noch mit knapp 20 Prozent einen relativ hohen Industrieanteil. Industriearbeitsplätze sind deswegen wertvoll, weil sie relativ zur Ausbildung der Beschäftigten ein hohes Einkommen erzeugen. Die Einkommensverteilung wird damit stabilisiert. Daher ist es sinnvoll, diese Arbeitsplätze zu halten. Dazu ist in Deutschland die Basis eigentlich vorhanden: eine lange Industrietradition, Fähigkeiten und Ausbildung der Beschäftigten, Verlässlichkeit und Stabilität der Politik.

Welche Probleme dulden keinen Aufschub – und welche sind nicht ganz so groß, wie sie scheinen?

Insbesondere die Verlässlichkeit der Politik ist ins Wanken gekommen. Die politischen Rahmenbedingungen, insbesondere bei der Regulierung von Aktivitäten und der damit zusammenhängenden Bürokratie haben sich so verschlechtert, dass die unternehmerische Initiative in Deutschland ausgebremst wird. Ein weiteres Beispiel ist die erratische und teilweise chaotische „Strategie“ der Politik bei der Nachhaltigkeitstransformation der Wirtschaft. Ein größerer Rahmen tut Not: eine Wachstumsagenda 2030.

Welche Entwicklung erwarten Sie für den Industriestandort D in den kommenden Monaten und Jahren?

In den kommenden Monaten wird sich der Druck erst einmal verringern, weil die Weltkonjunktur wieder nach oben gerichtet ist. Die Weltwirtschaft hat sich an die Rückkehr der Zinsen gewöhnt, bald wird wieder mehr konsumiert, gebaut und investiert werden. Das darf allerdings nicht dazu führen, dass sich die Politik zurücklehnt. Die Schwierigkeiten in Deutschland gehen tiefer als nur in die konjunkturelle Ebene.

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Stand: 28.02.2024

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