Wer noch einen Ausbildungsplatz sucht, hat derzeit gute Karten: Es gibt noch viele offene Stellen.
Im Juni 2023 gab es nach den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) etwa 256.000 freie Ausbildungsplätze.
Demgegenüber standen rund 147.000 Bewerberinnen und Bewerber, die noch keine Stelle gefunden hatten. Hinzu kamen 31.000 weitere, die auf eine Alternative wie einen weiteren Schulbesuch ausgewichen sind, aber dennoch einen Ausbildungsplatz suchen.
Arbeitgeber lassen sich deshalb einige ungewöhnliche Maßnahmen einfallen, um Schulabgängerinnen und Schulabgänger für sich zu begeistern.
Welche Talente habe ich? Welche Karrierechancen gibt es? Was passt zu mir? Nach einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung (Stand 2022) gab nur jeder vierte Jugendliche an, sich bei der Berufswahl zurechtzufinden. Hinzu kommen bei vielen die mangelnde Selbstkenntnis und unklare Vorstellungen, was sie wirklich erwartet, die Unsicherheit über Zukunftsaussichten und die Angst vor Fehlentscheidungen.
Dabei gibt es sie noch, die Traumberufe, zum Beispiel im Handwerk: Berufe wie Fliesenleger, Dachdeckerin oder Heizungsbauer werden, laut Institut der Deutschen Wirtschaft, allmählich immer beliebter. Sie gelten als sinnstiftend, sicher und gut bezahlt. Und: All diese Berufe sind tatsächlich auch relevant für das neue Energiebewusstsein. Doch das Hauptproblem Fachkräftemangel bleibt.
Viele Ausbildungen starten zum 1. August oder 1. September. Ein späterer Beginn ist aber auch möglich. Nicht nur Kellner, Programmiererinnen und Lehrer fehlen vielerorts, auch die Polizei „fahndet“ inzwischen, um Nachwuchs zu gewinnen. Gerade Behörden fehlt es an Charme: Die schleppende Digitalisierung, die Besoldung und die Ausstattung wirken auf junge Erwachsene nicht sonderlich attraktiv. Etliche Lehrstellen bleiben unbesetzt.
Fast 40.000 offene Lehrstellen gibt es allein im Handel für Kaufleute sowie für Verkäuferinnen und Verkäufer. Im Handwerk stehen noch knapp 36.000 freie Ausbildungsplätze zur Verfügung (Stand Juni 2023). Groß ist die Lücke auch in der Lagerwirtschaft, in Metallberufen, im Bau, im Lebensmittelbereich und in der Fahrzeugführung.
Eltern bleiben eine wichtige Unterstützung. Sie spielen eine zentrale Rolle bei der Berufsberatung ihres Nachwuchses. 73 Prozent der Befragten sagten, dass ihnen der Rat und die Unterstützung der Eltern bei der Berufswahl wichtig sind. So erklärt sich auch, dass die Orientierung über digitale Kanäle erstaunlich geringer ist als vermutet: Nur 19 Prozent der Schulabgänger und Schulabgängerinnen informieren sich etwa in den sozialen Medien.
Die wichtigsten Informationsquellen – außer den Eltern – sind:
Sinkende Ausbildungszahlen und ein zunehmender Fachkräftemangel: Dem Ausbildungsmarkt fehlt es an Nachwuchs. Im Ausbildungsjahr 2023 gibt es nicht nur
Es werden also mehr Ausbildungsstellen angeboten als nachgefragt: Im Jahr 2022 waren laut Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF ) 544.000 Ausbildungsangebote auf dem Markt, jedoch gab es nur 497.800 Auszubildende. Die klaffende Lücke ist somit so groß wie nie.
Das Handwerk kreidet der Politik eine zu geringe Wertschätzung für die berufliche Ausbildung an – schon heute fehlen insgesamt 250.000 Handwerkerinnen und Handwerker. Akademische und berufliche Ausbildung müssten endlich als gleichwertig anerkannt werden, so der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) Martin Wansleben. Junge Menschen sollten schon in der Schule einen besseren Überblick über die unterschiedlichen Ausbildungen und deren Chancen bekommen. Auch an Gymnasien sollte die Berufsausbildung zu einem festen Teil der Berufsorientierung gemacht werden.
Der Wunsch nach internationalen Erfahrungen ist aktuell stärker denn je: Nach der Corona-Pandemie nutzen wieder mehr Auszubildende einen Auslandsaufenthalt während ihrer Lehre. Im Jahr 2023 seien 25.300 Erasmus-Anträge für Azubis bewilligt worden. Überhaupt sind Auslandsaufenthalte sinnvoll, um die eigenen interkulturellen und fachlichen Kompetenzen auszubauen und sich persönlich zu entwickeln. Erasmus etwa ist eine der besten Gelegenheiten, über den Tellerrand zu schauen, andere (Arbeits-)Kulturen kennenzulernen, sich inspirieren zu lassen und bleibende Erlebnisse zu haben. Bis zu einem Viertel der regulären Ausbildungszeit lassen sich laut Berufsbildungsgesetz im Ausland verbringen – wenn der Ausbildungsbetrieb diesen Wunsch unterstützt. Einen Rechtsanspruch darauf gibt es nicht. Doch es gibt Möglichkeiten, zum Beispiel folgende:
Immerhin, eine kleine Trendwende gibt es schon: Mehr junge Menschen beginnen nach dem Abitur eine Lehrausbildung: deren Anteil stieg von 23 Prozent (im Jahr 2011) auf 29,7 Prozent (im Jahr 2021). Diese Berufsschülerinnen und -schüler haben dann nach dem Abschluss etwa in den Branchen Medien, Marketing oder IT sehr gute Aussichten, einen Job zu finden.
Gute Ausbildungsbedingungen, unbefristete Übernahme und gute Bezahlung – das kann für eine Ausbildung begeistern. Im ersten Ausbildungsjahr reicht die Spannbreite von der gesetzlichen Mindestausbildungsvergütung in Höhe von 620 Euro pro Monat im Friseurhandwerk bis zu rund 1.200 Euro in Pflegeberufen.
In tarifgebundenen Betrieben liegen die Einkommen von Azubis laut Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) im Schnitt über 1.000 Euro (Stichtag 1. Oktober 2023).
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Recht gut bezahlt werden Azubis in den Berufen
Sie bekommen überdurchschnittlich hohe Azubi-Vergütungen.
Vergleichsweise gering bezahlt werden dagegen Azubis
Hier liegen die Vergütungen bei 850 Euro und darunter. Die durchschnittlich geringste Vergütung gab es mit 652 Euro für angehende Orthopädieschuhmacher.
In einigen Branchen sind die tarifvertraglichen Vergütungen in jüngster Zeit überdurchschnittlich stark angehoben worden. Den größten Zuwachs gab es beim Backhandwerk (26,5 Prozent), in einigen Ländern auch im Gastgewerbe, in der Floristik, der Süßwarenindustrie, der Landwirtschaft und im Privaten Bankgewerbe. Insgesamt stiegen die Vergütungen für 2023 mindestens um 4,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Die Mindestausbildungsvergütung steigt: Für neue Ausbildungsverträge seit 1. Januar 2023 gilt
Hinweis: Ist der Arbeitgeber tarifgebunden, gilt die tarifvertraglich festgesetzte Höhe der Ausbildungsvergütung.
Ist der Ausbildungsbetrieb nicht tarifgebunden, darf
er den branchenüblichen Tarif um höchstens 20 Prozent unterschreiten – aber
nicht bis unter die Mindestausbildungsvergütung.
2,3 Millionen junge Menschen stehen in Deutschland ohne abgeschlossene Berufsausbildung da, mehr als 200.000 junge Menschen sind in einem Übergangssystem geparkt. Am 7. Juli 2023 hat nun das Gesetz zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung den Bundesrat passiert. Es zielt darauf ab, dem Arbeitskräftemangel in Deutschland entgegenzuwirken.
Für Regionen, in denen es mehr Bewerberinnen und Bewerber als offene Stellen gibt, soll es vom kommenden Jahr an die Ausbildungsgarantie geben – also einen Rechtsanspruch auf Ausbildung in Gegenden mit erheblicher Unterversorgung an Ausbildungsplätzen. Denn diese Regionen gibt es auch.
Die Arbeitswelt verändert sich. Die Einstellungen der Berufsanfänger auch. Immer mehr finden: Der Arbeitgeber muss zu mir passen – nicht ich zum Arbeitgeber. Noch vor wenigen Jahren mussten junge Menschen sich bei den Unternehmen anstellen, um einen Ausbildungsplatz zu finden. Inzwischen sind es die Betriebe, die die jungen Menschen umwerben.
Beispiele Öffentlicher Dienst:
Beispiele Mittelstand:
Beispiele Kleinunternehmen:
Die Sparkassen haben schon seit vielen Jahren kreative Angebote für ihre Auszubildenden im Programm. Ganz entsprechend ihrem Auftrag als öffentlich-rechtliches Kreditinstitut, dem die Lebensqualität der Menschen in seinem Geschäftsgebiet wichtig ist, sanieren die Azubis der Sparkasse Essen einmal im Jahr einen der Kinderspielplätze der Stadt. Andere Institute engagieren sich mit ihren Auszubildenden in der Renaturierung von Landschaftsgebieten. Wieder andere Sparkassen setzen auf einen besonders hohen Praxisbezug – mit einer Azubi-Filiale: So leiten die jungen Angestellten der Sparkassen Südholstein, Göttingen oder Frankfurt (und noch viele mehr) selbstständig eine der Geschäftsstellen.
Aktuell bieten einige der Institute regelmäßig ein gemeinsames Frühstück für ihre Auszubildenden mit langjährigen Angestellten an. Andere haben ein Innovationslabor für ihre neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingerichtet. Und wieder andere haben sich dazu entschlossen, hierarchieübergreifend das Du einzuführen – von den Azubis bis zum Vorstand.
Zwar geht es in Zukunft nicht hauptsächlich um die Bespaßung potenzieller Auszubildender, aber eine spielerische Herangehensweise an den neuen Job setzt sich immer mehr durch. Personalabteilungen sowie Unternehmerinnen und Unternehmer wissen: 08/15-Stellenangbeote genügen nicht mehr, um den Nachwuchs zu motivieren.
Immer öfter werden Jugendliche dort abgeholt, wo ihre Welt ist – um sie für die neue mögliche Arbeitswelt zu interessieren. Denn: Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen möchten nicht nur, dass sich ein paar Kandidatinnen und Kandidaten für ihr Unternehmen interessieren – Personalentscheidende möchten am Ende natürlich auch aus einer guten Kandidatenschar wählen können.
Stand: 16.08.2023